Simatic PCS neo erschließt Unternehmen der Prozessindustrie einzigartige Möglichkeiten: Workbench, objektorientiertes Datenmanagement, webbasierte Zusammenarbeit und Skalierbarkeit. Der Anwender benötigt aus rund 30.000 Informationsobjekten genau die anwendungsspezifisch gültige Teilmenge. Ist „Intelligente Information“ die Lösung? Wie kann das wirtschaftlich gelingen?
Ontologien als Basis für auto-generated Content
Mit dem Produktmodell Editor (PME) der Firma Ontolis wird ein digitaler Zwilling von PCS neo geschaffen, der alle Bestandteile und Eigenschaften von PCS neo in sich vereint. Dabei bildet die Ontologie sowohl die Produkt- als auch die Informationsstruktur ab. Beschreibungen von z.B. Programmbausteinen, Parametern und Funktionen werden redundanzfrei erstellt und bilden die Basis für dynamischen, regelbasierten auto-generated Content.
Auf der tekom Jahrestagung 2019 stellten der Projektleiter von Siemens, Stephan Schultze von Lasaulx, und der Head of Solutions von T3, Elmar Baumgart, den aktuellen Stand des Vorhabens gemeinsam vor. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung des Vortrags.
PCS neo in der SIMATIC-Landschaft
SIMATIC PCS neo ist das neue wegweisende Leitsystem für die Prozessindustrie – also für Unternehmen z.B. aus den Bereichen Chemie, Petrochemie, Glas- oder Stahlherstellung. Im Gegensatz zur diskreten Fertigungsautomatisierung steuert die Prozessleittechnik chemische Verfahren und Reaktionen, bei denen Stoffe umgewandelt werden.
PCS neo ist der Nachfolger von PCS7, dem bewährten Branchenstandard. Durch sein webbasiertes graphisches Userinterface und das objektorientierte Datenmanagement bietet PCS neo neue Perspektiven und Funktionen für die weltweit verteilte Zusammenarbeit, Sicherheitsaspekte, Cloudanbindung u.v.m. Design, Engineering, Inbetriebnahme und natürlich der Betrieb der Anlage können mit PCS neo auf einem neuen Effizienzniveau stattfinden, ohne dass dabei vorhandene Hardware ausgetauscht werden muss.
Anlagenprojektierung mit Bausteinbibliotheken
Eine zentrale Rolle im Engineering mit PCS neo spielen die Bausteinbibliotheken. Eine Vielzahl von Bibliotheken bieten branchenspezifische Standardlösungen für die unterschiedlichsten Anwendungsbereiche. Auch hier ist die Kompatibilität mit den Bibliotheken für PCS7 eine Voraussetzung für die Akzeptanz eines neuen Systems am Markt.
Ziele der Dokumentation
Ein rein webbasiertes Softwareprodukt mit neuem Interaktionskonzept und neuem Datenmodell stellt auch an die Dokumentation große Anforderungen. Insbesondere aufgrund des Volumens ist Effektivität in allen Teilaspekten des Informationsprozesses das ganz entscheidende Kriterium. Dazu gehört vor allem die Vermeidung von Redundanz im Content aber auch bei der Verlinkung der Inhalte. Um dies zu erreichen muss das Informationsmanagement im Redaktionsprozess genauso objektorientiert werden, wie das Produkt selbst, damit man Übersichten bei Bedarf vollautomatisch generieren kann. Ein weiteres Hauptziel ist die Bereitstellung und Aktualisierung der Dokumentation in einer Delivery-Plattform. Schließlich müssen diese beiden Primärziele mit dem bestehenden Content-Managementsystem in Einklang gebracht werden, um die etablierten Prozesse der verteilten Redaktion, der Übersetzung und des Reviews weiterhin nutzen zu können.
Im Zusammenspiel mit dem agilen Softwareentwicklungsprozess wurde hier ein neuer Redaktionsprozess aufgesetzt, der den Anforderungen gerecht wird.
Anlagen-, Anwendungs- und User-spezifische Informationsbereitstellung
Die leitende Maxime bei der Informationsbereitstellung könnte man zusammenfassen mit den Worten „dem Anwender genau die eine Information geben, die er im Kontext seiner Aufgabe benötigt“. Dies erfordert neben der möglichst nahtlosen Integration in das Produkt auch die zielgruppenspezifische Aufbereitung der aufgabenorientierten Teile. Über das mit PCS neo quasi als digitalem Zwilling modellierte Anlagenmodell und die dem Informationszugriff zugrundeliegende Kontextsensitivität entsteht als Nebenprodukt auch eine anlagenspezifische Teilmenge an Information.
Modulares, dokumentbefreites Content Delivery
Aus Sicht des Endanwenders ist vor allem der situative Zugriff auf Informationen entscheidend. In der Regel wird Information losgelöst von einem linearen Dokumentenkontext recherchiert und genutzt. Der Schwerpunkt liegt klar auf Referenzinformationen neben denen zusätzlich aufgabenorientierte Grundlagen vermittelt werden. Zusatzziele sind:
– Reduktion der Komplexität und des Umfangs
– Konsistenz und Korrektheit der Informationen
– Eliminierung von Redundanz
Redundanz ergibt sich aufgrund der Produktstruktur zwangsläufig vor allem in tabellarischen Übersichten. Hier speziell ergibt sich großes Potential für „auto-generated“ Content.
Herausforderungen für die Dokumentation
Obwohl PCS neo eine grundlegende Neuentwicklung darstellt, kann man nicht von „grüner Wiese“ sprechen. PCS neo bleibt hardwarekompatibel und vor allem im Bereich der Funktionsbibliotheken auch softwarekompatibel zu PCS7 – dem am Markt etablierten Prozessleitsystem von SIEMENS. Bei den Bibliotheken besteht eine über Jahre gewachsene Struktur, die teilweise auf unterschiedlichen Technologien beruht. Aus diesem Umstand resultiert u.a. der Bedarf, den gewachsenen Ist-Zustand exakt abzubilden und nach Möglichkeit vorhandene Inhalte wiederzuverwenden.
Obwohl PCS neo selbst keine Produktvarianten kennt, ergibt sich im Bereich der Funktionsbibliotheken eine Herausforderung analog zum herkömmlichen Variantenmanagement: verschiedene Funktionsbausteine verfügen über gleiche Funktionen und Parameter, die jedoch im Einzelfall auch abweichende definiert sein können. Daraus ergibt sich eine sehr große Anzahl redundanter Texte, deren Erstellung und Pflege vermieden werden soll.
Die Lösung: ein Produktmodell als Metadaten-Drehscheibe
Mit dem Produktmodell Editor der Firma Ontolis wird quasi ein digitaler Zwilling von PCS neo erstellt. Dieser umfasst alle Bestandteile und Eigenschaften von PCS neo: Userinterface-Hierarchie, zu beschreibende Prozesse und Aufgaben, Bibliotheken und Funktionsbausteine sowie alle dokumentationsrelevanten Eigenschaften dieser Objekte.
Wie entsteht ein Produktmodell?
Mit dem Ontolis Produktmodell Editor verläuft der Prozess folgendermaßen: Zunächst wird ein Schema entwickelt, welches das grundlegende Vokabular für die Modellierung liefert. Dazu ist ein iterativer Abstimmungsprozess zwischen Domänenexperten und Modellierungsexperten erforderlich. Im zweiten Schritt wird das Redaktionsteam involviert und die Modellverantwortung für thematische Teilbereiche auf verschiedene Schultern verteilt.
Dank PME und seinem vereinfachenden hierarchischen Ansatz können Teilaspekte des Produkts von verschiedenen Produktexperten gut verteilt modelliert, begutachtet und verifiziert werden. Indem die Beschreibung selbst ein Teil des Modells wird, lassen sich redaktionell erstellte Topics dann quasi implizit klassifizieren – d.h. ohne Zusatzaufwand mit Gültigkeiten versehen, die später bei der Informationsverteilung eine wichtige Rolle spielen.
Durch Regeln und deren Anwendung auf das Produktmodell lassen sich Variantenfilter realisieren, mit denen ganze Teilbäume des Produktmodells einfach ausgeblendet werden. Durch die explizite Modellierung des Produkts in einem Produktmodell kodifiziert der Redakteur sein Produktwissen und stellt dies effektiv dem Anwender zur Verfügung.
Wie entsteht Content aus einem Produktmodell?
Das Produktmodell ist natürlich kein Selbstzweck. Es enthält die Strukturinformationen und die Eigenschaften aller Produktbestandteile. Außerdem sind die beschreibenden und anleitenden Topics Teil des Produktmodells – in diesem Sinn ist das Produktmodell der Content. Um diesen Content jedoch dem Anwender bereitstellen zu können, muss das Modell transformiert und „lesbar“ aufbereitet werden. Ein wichtiger Aspekt dabei sind Gültigkeitsregeln. Sie nehmen Bezug auf Eigenschaften der Objekte des Produktmodells. Mit Hilfe einer Regel lässt sich die „Existenz“ einzelner Modellobjekte im Kontext der Variante beeinflussen. Durch diese Eigenschaft können Regeln daher den Generierprozess von Varianten steuern.
Wie wird ein Produktmodell in die Redaktionslandschaft integriert?
Produktmodellierung stellt einen großen Paradigmenwechswel in der Redaktionsarbeit dar – nicht mehr das Dokument und seine Top-Down erstellte Gliederung bilden den Rahmen, sondern das Produkt mit Eigenschaften und Abhängigkeiten. Dieser Paradigmenwechsel ist im Team gezielt zu fördern: durch Schulung, durch Freiraum zum Experimentieren und durch kontinuierlichen Erfahrungsaustausch. Die visuellen Modelle helfen bei der täglichen entwicklungsbegleitenden Kommunikation rund um das entstehende Softwareprodukt.
Zusammenspiel mit dem Contentmanagement System
Im PCS neo Projekt wurde der Produktmodell Editor mit dem bei SIEMENS etablierten CMS SIPS+ kombiniert. Die SIPS+-Topics werden über Platzhalterobjekte im Produktmodell referenziert und so mit Metadaten versehen. Aus dem PME lässt sich das Modell als XML-Ressource für die Produktionsstrecke exportieren, die damit Linklisten und tabellarische Informationen automatisch generiert.
Terminologie- und Übersetzungsmanagement
Um die etablierten Mechanismen für Terminologie und Übersetzung auf das Produktmodell ausweiten zu können, bietet Ontolis einen Terminology and Localization Manager (TLM) an. Mit seiner Hilfe lassen sich Terme, Synonyme, Vorzugs- und verbotene Bezeichnungen pflegen, die im Publikationsprozess bis zur Volltextsuche der Bereitstellungsplattform durchgereicht werden.
Produktionsautomatisierung
In der aktuellen Ausbaustufe sind der Produktmodell Editor und das CMS SIPS+ nur relativ lose gekoppelt. Eine weitergehende Integration ist für die nächsten Ausbaustufen vorgesehen.
Intelligent Content Delivery
Für die Bereitstellung der Information setzt SIEMENS auf den Plant and Documentation Manager (PuD Manager) der Firma Ontolis. Zu den wesentlichen Eigenschaften zählen Facettennavigation, modulare und situative Nutzung, kontextsensitive Anbindung, Zielgruppen- und Aufgabenorientierung und dynamisch generierter Content. In weiteren Ausbaustufen folgt die modulare, semantische Vernetzung von Topics i.S. von „Micro Docs“ bzw. kontextualisierter Wissensräume.
Zusammenfassung
Die vollständige Modellierung von PCS neo ermöglicht eine effiziente Klassifizierung der Produktbeschreibung und löst effektiv die sich aufgrund der Produktstruktur ergebenden inhärenten Variantenprobleme. Das Produktmodell wird zur flexiblen Metadatendrehscheibe für die Dokumentation und ermöglicht eine modular semantisch vernetzte, dynamische Informationsbereitstellung. Als „single source of truth“ sorgt das Produktmodell für eine bislang nicht erreichte Qualität und Konsistenz in der Dokumentation, die wesentlich zur Akzeptanz des gesamten Produkts beiträgt. Zudem ist der Content als Intelligente Information für künftige Smart Services zukunftssicher vorbereitet.
Die Referenten
Dipl.-Ing. (FH) Stephan Schultze von Lasaulx
Herr Schultze von Lasaulx ist Redaktionsleiter im Bereich der Prozessleittechnik bei der Siemens AG in Karlsruhe. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich mit der Thematik „Intelligente Informationen“ und setzt diese im Rahmen von SIMATIC PCS neo erfolgreich um.
Dipl.-Inf. (FH) Elmar Baumgart
Der Diplom-Informatiker ist seit 1996 bei der T3 GmbH. Als CTO verantwortet er die Entwicklung der T3 Solutions und berät Unternehmen bei der Konzeption und Einführung von semantischen Informationsmanagementlösungen und Informationsplattformen.
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